Tell Halaf Grabungsprojekt
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Grabungsstelle E

Prof. Dr. Winfried Orthmann

Die Grabungen am Stadttempel 2010
In der Kampagne 2010 wurde die Grabung in der Osthälfte des Areals 3400 wieder aufgenommen und die Westhälfte des Areals 3500 ausgegraben (Abb. 1). Außerdem wurden zwei der in diesem Bereich seinerzeit für die Anlage der Kanalisation eingetieften Gräben ausgehoben, um durch Reinigung und Aufnahme der so entstandenen Profile Aufschlüsse über die von diesen Gräben durchschnittene Bausubstanz zu gewinnen. Wegen der Lage unserer Schnitte im Verkehrsbereich zwischen den Häusern mussten alle Grabungsflächen am Ende der Kampagne wieder verfüllt werden.

Im ganzen Bereich der Grabung wurde als oberste Schicht ein rezenter Auftrag von feinem Schotter angetroffen, der nach der Anlage von Kanalisation und Wasserleitungen als Straßenbefestigung aufgebracht worden ist. Darunter folgt eine unterschiedlich starke humose Schicht, die zahlreiche Bestandteile rezenten Abfalls enthält und die daher als eine nach der modernen Aufsiedelung entstandene Oberflächenschicht angesprochen werden kann.
Dicht darunter lag in der Osthälfte des Areals 3400 und in der Westhälfte von 3500 ein unregelmäßiges Pflaster aus Kalksteinplatten. Es kann angenommen werden, dass dieses Steinplattenpflaster die Begehungsfläche eines Hofes darstellt. Wo es abbricht, haben vermutlich Mauern gestanden, von denen jedoch zumindest das aufgehende Mauerwerk nicht erhalten ist.

Unterhalb des Niveaus dieser Bauschicht 1 wurden in den Arealen 3400 und 3500 sowie im Nordteil des Areals 3499 massive Lehmziegelsetzungen angetroffen. Die Lehmziegel der zu dieser Schicht gehöriger Lehmziegelmauern ließen sich von den Verfüllschichten vor allem aufgrund der unterschiedlichen Ausrichtung der Fugen und der auf den Mauern erkennbaren Putzschichten unterscheiden. Durch Abtragen der Verfüllschichten wurde in den Arealen 3400 und 3500 in den durch die Mauern gebildeten Räumen der Fußboden erreicht (Bauschicht 2).

Die unterste erfasste Schicht in den Arealen 3499, 3400 und 3500 besteht aus einer massiven Terrassenkonstruktion, deren Begrenzung im Norden und Osten bisher nicht erfasst werden konnte. In der Bauschicht 2 hat auf dieser Terrasse ein Gebäude (Bau E4) gestanden, dessen Struktur in den bisher ergrabenen Bereichen gut zu erkennen ist. Den nordöstlichen Teil der Grabungsfläche nimmt der Hof AD ein, der mit gebrannten Ziegeln, an einzelnen Stellen auch mit Steinen, gepflastert ist (Abb. 2-3). Dieser Hof wird im Süden von einer breiten Mauer begrenzt, die am Ostrand des Areals 3400 einen Durchgang nach Süden zu dem Raum AC aufweist. Im Westen befand sich ursprünglich offenbar ein breiter Durchgang in den westlich gelegenen Raum AB, der später eingeengt und dann ganz zugesetzt wurde. In dem Hof AD fand sich am Ostrand der Grabungsfläche in Areal 3500 ein Einlass für einen Entwässerungskanal, dessen Decksteine in einer Sondage noch ein kleines Stück weiter nach Osten verfolgt werden konnten (Abb. 4). In den übrigen Räumen fanden sich keine Installationen, die über die Funktion dieser Räume Aufschluss geben könnten. Das möglicherweise ursprünglich vorhandene Inventar wurde offenbar vollständig ausgeräumt, bevor die Räume mit Lehmziegeln zugesetzt wurden.

Das Verhältnis dieser Bebauung in den Arealen 3399, 3499, 3400 und 3500 zu dem 1913 ausgegrabenen Stadttempel ist schwierig zu beurteilen, da bei den Grabungen bisher keine eindeutig identifizierbaren Überreste dieses Stadttempels angetroffen wurden. Wenn man davon ausgeht, dass dieses Bauwerk auf dem Stadtplan der damaligen Grabung an der richtigen Stelle eingezeichnet wurde, dann müssten die Grabungsschnitte in den Arealen 3399, 3499, 3498, 3397 und 3396 Teile des Tempelhofes sowie von dessen südlicher Randbebauung (Raum N) erfasst haben. Von dem Steinplattenpflaster, das nach Ausweis der Grabungsfotos in großen Teilen des Tempelhofes vorhanden war, fanden sich keine Spuren.

Für dieses Problem kann bisher keine überzeugende Lösung vorgeschlagen werden. Bei der sonst sehr sorgfältigen Bauaufnahme durch die Architekten der Grabungen Max von Oppenheims erscheint es kaum vorstellbar, dass der auf einer Geländekuppe gelegene Stadttempel seinerzeit völlig falsch eingemessen wurde und die in den Arealen 3400/3500 freigelegten Bauten in Wirklichkeit einen an gleicher Stelle gelegenen Vorgängerbau des Stadttempels repräsentieren. Berücksichtigt man die von E. Heinrich in Betracht gezogenen Deutung des Stadttempels als ein Heiligtum von Nabu-Tempeln und Tašmetum, dann könnten die in den Areal 3400/3500 nördlich des eigentlichen Tempels gelegenen Bauteile den bei anderen Nabu-Tempel nachgewiesenen Nebenräumen entsprechen, die von N. Postgate als akitu-Festhaus gedeutet wurden. Wegen der modernen Überbauung wird es jedoch nicht möglich sein, dieses Gebäude so vollständig freizulegen, dass eine solche Interpretation abgesichert werden kann.

1Die Grabungsflächen am Stadttempel 2010 (Autor: Orthmann)
2Lehmziegelstrukturen im Bereich E 2010
3Ostteil des Hofes AD von Norden (Foto: D. Vogel)
4Aus Ziegeln aufgemauerter Schacht über dem Einlass des Abwasserkanals (Foto: D. Vogel)